Rücksichtlosigkeit

Wenn ich so bin, wie ich eigentlich bin dann werde ich herumgeschubst. Ich bekomme weder an der Bar etwas zu trinken, noch komme ich beim Schienenersatzverkehr nach Hause. Ja, wenn ich so bin, wie ich bin, werde ich schlecht behandelt. Doch wie bin ich denn eigentlich?

Ich bin ein extrem rücksichtsvoller Mensch. Als Kind war es schlimm, wirklich schlimm. Ich hatte ein unheimlich großes Bedürfnis niemanden stören zu wollen, niemanden zu nerven. So stellte ich meine Wünsche immer extrem hinten an und das wortwörtlich, denn ich stellte mich wirklich immer wieder aufs Neue hinten in die Schlange, damit ich immer die Letzte war und so niemand auf mich warten musste. Ich erinnere es bis heute, wie verzweifelt mein Vater war, als ich rutschen wollte, mich aber immer wieder hinten anstellte oder ich im Kaufhaus einfach nicht auf die Rolltreppe ging, weil ja immer wieder andere Leute kamen, die diese benutzen wollten und ich mich somit immer wieder hinten anstellte.

echoismus

Wahrscheinlich wurde ich dahingehend zu gut erzogen zu rücksichtsvoll mir wurde beigebracht an andere zu denken, aber leider so gar nicht an mich zu denken. Mein Problem ist schlichtweg, dass ich einfach nie gelernt habe an mich zu denken. Denn wir sehen Narzissmus als reine schlechte Eigenschaft doch gesunder Narzissmus ist etwas Positives und für einen selbst auch wirklich wichtig. Ich allerdings habe leider keinerlei Narzissmuss in mir, er fehlt mir quasi total.

Dadurch leide ich an Echoismus

Echoismus ist das Gegenteil von Narzissmus und ich gehe davon aus, dass du dieses Wort so wie ich vorher noch nie gehört hast oder?

Deswegen möchte ich dir hierzu die Geschichte von Echo erzählen, die ich bei meiner Recherche gefunden habe und die ich total interessant finde:

„Echo war eine Nymphe, die im Wald lebte. Sie hatte eine schöne, süße Stimme und liebte es, zu reden. In ihrer Beredsamkeit wollte Echo immer das letzte Wort haben. Eines Tages bestrafte die Göttin Hera Echo, weil sie sie getäuscht hatte, und sagte wütend zu ihr: „Von diesem Moment an wirst du nicht mehr sagen können, was du willst, und da du immer das letzte Wort haben willst, wirst du von nun an nur das letzte Wort wiederholen können, das du hörst!“

Eines Tages, als Echo durch den Wald ging, traf sie Narziss, einen hübschen jungen Hirten, in den alle Nymphen verliebt waren, der sie aber zurückwies. Echo verliebte sich innig in ihn und beschloss, ihm durch den Wald zu folgen. Plötzlich hörte Narziss ein Geräusch zwischen den Zweigen und fragte: „Ist da jemand?“ Er lauschte in den Wald hinein. „Jemand“, antwortete Echo sogleich. „Komm heraus“, rief Narziss. Und Echo wiederholte: „Heraus.“

Und als sie sich trafen, umarmte Echo Narziss, aber er wies sie ab, wie er es gewohnt war.

Die Göttin Nemesis bestrafte Narziss für seine Überheblichkeit, indem sie ihn fühlen ließ, was die Nymphen fühlten. Als er Wasser aus einer kristallinen Quelle trank, konnte er sein Bild sehen. Er dachte, sein Spiegelbild sei ein reales Wesen und verliebte sich innig in sich selbst. Nichts anderes war ihm mehr wichtig und er blieb bei der Quelle, aus Angst, sein Abbild zu verlieren. Nach und nach verwandelte sich Narziss in eine schöne Blume.

Echo hingegen flüchtete sich in Höhlen und auf Bergspitzen, wo ihr physischer Körper langsam schwand, bis nur mehr ihre Stimme blieb, die bis heute das letzte Wort wiederholt, das äußerst, wer sich ihr nähert.“

echo

Wären Echo und Narziss ein Paar geworden, dann wäre daraus der Echozissmus entstanden und beide wären glücklich gewesen. Die richtige Dosis von beiden Eigenschaften ist immer die Lösung oder wie ich sage das Mittelmaß. Kein Extrem ist gut und gesund. Also wirklich schade, dass diese Geschichte kein Happy End hat.

Kommen wir jetzt zurück zum rücksichtsvoll sein. Während ich heute nur noch leicht extrem rücksichtsvoll bin und auch gelernt habe an mich zu denken. Hat ein Großteil der Menschen ja eher das gegenteilige Problem, sie haben nie gelernt oder verlernt auch an andere zu denken.

Der Alltag der könnte für uns alle viel leichter sein, wenn jeder ein bisschen Rücksicht auf den Anderen nehmen würde. Stattdessen ist der Alltag ein Kampf. Ich kämpfe mich in die Bahn, um meinen Platz in der Schlange und bin eigentlich ständig am Kämpfen, wenn ich mir irgendetwas mit mehreren Menschen teilen muss. Diese allgemeine Rücksichtslosigkeit lässt mich jeden Tag aufs Neue erschöpft nach Hause kommen und mich oft mit dem Gedanken „ich hasse Menschen“ ins Sofa fallen.

egoismus

Aber warum ist das so? Wieso fällt es den Meisten so leicht rücksichtslos zu sein? Naja ich denke mal weil Übung den Meister macht. Wir begegnen der Rücksichtlosigkeit jeden Tag und sind somit immer mehr gezwungen uns selbst rücksichtslos zu verhalten, da wir ansonsten nicht zu unserem Ziel gelangen. Im Gegenzug werden wir ja nie damit konfrontiert rücksichtsvoll zu sein.

Rücksichtsvoll sind wir also nur, wenn wir Nachfahren von Echo sind, also eher zu Echoismus neigen. Ich bin in der heutigen Zeit immer noch rücksichtsvoller als viele andere, aber schon viel rücksichtsloser als früher, weil ich früher nur gelernt habe rücksichtsvoll zu sein und heute ausschließlich lerne rücksichtslos zu sein.

Mir wird es dennoch immer leichter fallen rücksichtsvoll als rücksichtlos zu sein, weil das einfach so in meiner Natur ist. Ich muss mich wirklich zusammenreißen wenn ich mich rücksichtslos verhalten möchte.  Das Problem der Echoisten ist ja, dass sie sich selbst für nicht besonders halten genau das gegenteilige Problem vom Narzissten der niemanden mehr besonders findet, als sich selbst. Ich meine wenn du dich besonders fühlst, ist es für dich auch ganz logisch, dass du derjenige bist, der in der ersten Reihe steht, der auf niemanden warten muss, der, der bevorzugt wird. Als Echoist unvorstellbar, werde ich bevorzugt fühle ich mich schlecht. Heutzutage habe ich glaube ich aber so gut wie das gesunde Mittelmaß erreicht, ich habe ein hohes Selbstwertgefühl und auch Selbstvertauen. Auch fühle ich mich besonders, allerdings nie „Überbesonders“, denn für mich wird immer jeder auf seine Art besonders sein, weswegen ich nach wie vor unter der Rücksichtslosigkeit leiden werde und sie auch nie verstehen, geschweige denn so umsetzen werde, wie viele es tun. Ich bin gerne rücksichtsvoll während ich nur rücksichtslos bin, wenn ich es muss. Denn heute weiß ich, wenn ich nicht an mich denke, wird auch niemand anderes an mich denken. Ich muss auch mit mir rücksichtsvoll umgehen.

„Zuletzt ist man immer nur auf sich und das eigene Bewusstsein angewiesen, und was andere versäumen, müssen wir für uns selbst tun.“ ~Theodor Fontane

Was fällt dir leichter? Rücksichtsvoll oder rücksichtslos zu sein?

Ich bin gespannt auf deinen Kommentar!

Deine Janine