Kommt mal runter!

Erfolg und Reichtum steigt uns zu Kopf und dennoch streben wir genau das an. Ich glaube die Menschheit ist nicht dafür geschaffen viel zu besitzen oder viele Möglichkeiten zu haben. Wir haben zwar gezeigt, dass wir dazu in der Lage sind Möglichkeiten und Reichtum zu erschaffen, doch hat dies gleichzeitig die Menschlichkeit in uns zerstört.

Wir sehnen uns nach alten Zeiten. Auch wenn wir heute viel mehr Besitzen und viel mehr Möglichkeiten haben, so sehnen sich viele von uns nach den alten Zeiten. Wieso war früher alles besser, wenn doch heute soviel mehr möglich ist? In den guten alten Zeiten ging es mehr um die Menschlichkeit. Heute geht alles viel zu schnell für die Menschlichkeit im eigentlichen Sinne ist schlicht und einfach keine Zeit mehr, obwohl wir genau genommen heute über viel mehr Zeit verfügen.

Die Zeit wird aber vollgestopft mit unendlich vielen Möglichkeiten. Durch die riesen Auswahl können wir uns für nichts mehr so richtig entscheiden und halten dies auch nicht wirklich für nötig. Wieso sich entscheiden, wenn alles möglich ist? Wenn ich alles haben kann?

Also machen viele alles, aber nichts richtig. Das ist die heutige Devise. Wir haben alles und sind gleichzeitig verloren. Nichts löst mehr etwas in uns aus und breit macht sich die pure Langeweile. Kaum jemand ist noch dazu in der Lage mit sich selbst etwas anzufangen. Die Menschen wollen ständig etwas neues, ständige, einzigartige Unterhaltung mehr mehr und mehr nichts ist genug und alles wird schnell langweilig. Das Ziel ist quasi erreicht, wir haben alles erreicht uns geht es gut und dadurch geht es uns gleichzeitig schlecht. Kein Antrieb, keine Motivation, keine Emotionen.

Und dann kam Corona. Mit dieser Krise machte sich in mir aber auch gleichzeitig Hoffnung breit. Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft, auf das Zurückkehren der Menschlichkeit. Am Anfang gab es eine kleine Tendenz, ein kleiner Funken Menschlichkeit kam an die Oberfläche. Die Menschen waren wieder Dankbar für die kleinen Dinge, für das, was sie sonst für selbstverständlich gehalten hatten. Aber leider war der Funken viel zu klein und verschwand sehr schnell wieder. Die Dankbarkeit wandelte sich in Frust, Neid und Wut. Die Dinge wieder Selbstverständlich zu sehen machte sich wieder breit und die Sehnsucht nach den Möglichkeiten, die waren. Das Jammern auf hohem Niveau nimmt seinen Lauf und macht mich unheimlich traurig.

Ich versuche diesen kleinen Funken Menschlichkeit an die Oberfläche zu ziehen, doch alleine gelingt es mir nicht. Stattdessen höre ich mir jeden Tag an, wie schlecht es allen geht. Mir wird eingeredet, dass es schlimm ist nicht mehr essen gehen zu können, nicht mehr in den Urlaub zu fahren, die Nähe der eigenen Kinder pausenlos zu ertragen, an keinen Veranstaltungen mehr teilzunehmen und keine Date Verabredungen zu vereinbaren. Hinzu kommt, dass sehr viele über Einsamkeit klagen, dennoch klingelt mein Telefon nicht, ich erhalte weniger Nachrichten als vorher. Die Möglichkeiten die noch da sind werden weder geschätzt noch genutzt, einfach aus dem einfachen Grund, das der Mensch will was er nicht haben kann.

Wo bleibt die Dankbarkeit und die Kreativität? Sind wir schon so verwöhnt, dass wir nicht mehr in der Lage sind zufrieden zu sein mit dem, was wir haben? Ich freue mich jeden Tag über meine warme Wohnung, darüber, dass ich jeden Tag genug zu Essen habe. Ich verstehe, die, die Angst um ihre Existens haben, weil die, diese wichtigen Dinge verlieren könnten. Aber nicht in den Urlaub fahren zu können gehört definitiv nicht dazu. Es ist nicht mal etwas, was jeder vorher konnte. Urlaub ist Luxus! Stell dir vor es gibt tatsächlich Menschen, die jeden Tag hart arbeiten und sich dennoch keinen Urlaub leisten können und vor Allem nicht jedes Jahr. Dennoch sind sie nicht unglücklicher, als die, die es gewohnt sind zu verreisen. Ganz im Gegenteil, die Menschen, die weniger Besitzen und weniger Möglichkeiten haben sind meistens glücklicher, zufriedener, bescheidener und kreativer. Ja wir können uns jetzt nicht zu einem romantischen Essen im Restaurant verabreden, aber wieso ist das gleichbedeutend damit, dass ein Date nicht möglich ist? Wir können uns doch zu einem netten Spaziergang treffen und reden. Auch können wir stundenlang telefonieren. Eigentlich all das, was ich damals mit 16 gemacht habe, als ich ausgegangen bin, weil wir mit 16 nicht viel Geld hatten und aus den Gründen nicht essen gegangen sind. Ja da sind wir schon beim Thema essen gehen. Heutzutage ist es völlig normal ständig ein Restaurant zu besuchen. Bereits in der Mittagspause und dann Abends nochmal zu einer Verabredung und natürlich am Wochenende. Die Restaurants waren ständig ausgebucht, ohne Reservierung keine Chance. Ich erinnere mich an eine Zeit, wo ein Restaurantbesuch etwas Besonderes war, etwas, was wir uns nicht ständig leisten konnten. Wir sind wirklich nur zu besonderen Anlässen essen gegangen, dadurch war das jedes mal ein Erlebnis und wir waren zu der Zeit mit weniger, viel glücklicher, menschlicher.

Damals zählte der Mensch heute zählen die Möglichkeiten. Ich bin umgeben von einer entscheidungsunfreudigen und beeinflußbaren Gesellschaft. Es ist kein Vorwurf, denn wir werden ja so groß. Auch ich war kurz davor meinen menschlichen Funken zu verlieren. Ich bin ebenfalls verwöhnt und damals fand ich das total normal. Ja ich erinnere mich noch sehr gut an ein Gespräch zwischen meinem Ausbilder und mir. Er warf mir einmal vor, dass ich ständig etwas wollen würde. Ich verstand diesen Vorwurf damals nicht. Im Gegenteil, ich sagte zu ihm, dass es ok ist alles zu wollen, weil alles möglich ist und man sich nicht immer mit den schlechteren vergleichen sollte. Wenn ich heute noch mal über dieses Gespräch nachdenke würde ich anders antworten. Denn er hatte Recht, wie komme ich auf die Idee ständig alles zu wollen, anstatt mich einfach mal für etwas zu entscheiden und dankbar zu sein?

Bei mir hat es Klick gemacht und ich trage die Hoffnung in mir mit dem Artikel nicht das Gefühl zu erwecken, ich würde der Gesellschaft einfach nur Vorwürfe machen. Viel mehr hoffe ich in einigen den menschlichen Funken hervorzurufen, damit ich nicht mehr alleine versuchen muss diesen zurück an die Oberfläche zu bringen.

Ich bin jedem Dankbar, der diesen Artikel liest und versteht.

Deine Janine

Ein Gedanke zu “Kommt mal runter!

  1. Liebe Janine,

    gut, dass du diesen Artikel geschrieben hast. Er handelt ja eigentlich um Dankbarkeit.
    Ich beschäftige mich tatsächlich schon seit mehreren Jahren mit dem Thema und nehme mir zwischendurch immer einen Moment, um darüber zu sinnieren, wofür ich dankbar bin. Ich hatte das im ganzen Alltagswahnsinn vergessen und dann wurde ich auch noch krank. Und wenn man krank ist, sieht man leider wenig positives. Oder schlimme Dinge passieren, die man nicht abwenden kann. Und wenn Tod oder andere Verluste über einen kommen oder man einfach nur Nachrichten hört und wieviel mehr Leid es in der Welt gibt, dann lässt es mich definitiv innehalten und verstehen, wie gut es mir geht.
    Ich bin sehr dankbar und formuliere es auch so. Ich danke Gott dafür, dass er mich unterstützt. Ich danke mir, dass ich durchhalte. Ich bin dankbar für meine gesunde Familie, dass es Menschen gibt die mich lieben. Dankbar für meine Freunde, die mich nehmen wie ich bin, denn das ist nicht selbstverständlich. Ich bin dankbar für meinen Job, für mein schönes Zuhause, dass ich als Luxus empfinde. Dankbar dafür, dass ich nicht jeden Penny umdrehen muss, auch wenn es bei mir schon solche Zeiten gab und vielleicht wieder geben wird.
    Ich bin manchmal auch einfach dankbar, dass ich am leben bin und nicht entführt und vergewaltigt wurde. Dass ich keinen häuslichen Missbrauch oder Gewalt in der Kindheit erfahren musste. Dass ich genug zu essen habe, nicht hungern und frieren muss oder vor Bomben oder Feinden fliehen muss. Dass ich ich nicht bangend im Krankenhaus sitzen muss, weil ein geliebter Mensch schwer krank ist. Und auch das musste ich schon durchmachen. Ich habe so einiges hinter mir und deshalb bin ich einfach dankbar um meinetwegen.
    Und da kann auch Corona nichts dran ändern. Mir sind Urlaube noch nie wichtig gewesen und Essen gehen wir so gut wie nie. Kino interessiert mich nicht und in Bars und Kneipen gehe ich schon lange nicht mehr.
    Wenn mir etwas fehlt, dann einfach nur ein bisschen mehr Alltag. Vielleicht mal in ein anderes Geschäft gehen, außerdem Lebensmitteldiscounter, sich mit mehr als einer Freundin gleichzeitig treffen, Ausflügen in Parks mit meinem Kind machen. Das sind die Dinge, die mir fehlen. Aber wir kommen klar.

    Dies ist nun ein sehr langer Kommentar geworden, aber er kommt von Herzen.
    Ich danke dir für den Denkanstoß!

    Dein Herbstmeedchen Sarah

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